Wenn Besuch kommt: Gastfreundschaft

Ich möchte eine neue Rubrik eröffnen. Ich finde es spannend, über Dinge zu schreiben, die in jedem Reiseführer vorkommen und die man sich in aller Kürze anders vorstellt, als ich sie erlebe. Beginnen möchte ich mit der Gastfreundschaft.

Gastfreundschaft in Marokko

Ich lasse gerne den vergangenen Tag Revue passieren und an manchen Tagen erheitert es mich ungemein. Manche Tage haben das Potenzial zu einer Komödie. Heute würde das Stück den Titel tragen: Der Besuch der alten Tante. Diese kam uns heute spontan, wie auch sonst in Marokko, besuchen. Niemand in Marokko plant Besuche außer den Nichtmarokkanern sprich auch ich. Ich gehe davon aus, dass sie mich nicht beehrt hätte, wenn nicht meine Schwiegermutter und meine Schwägerin auch heute bei mir gewesen wären. Aber da dies nun einmal der Fall war, durfte ich heute nach langer Zeit Gastgeberin spielen. Die Sache mit der Gastfreundschaft ist eine komplizierte Geschichte und gibt noch genug Stoff für weitere Artikel. Bevor dieser aber von mir rational durchleuchtet und auseinander gepopelt wird, ist es sicherlich erfrischender sich die Vorgänge zuerst unvoreingenommen und ohne Wertungen von der Gastgeberperspektive anzusehen.

Wir hingen alle nach einem sehr, sehr leckeren Mittagessen noch ein bisschen in den Seilen. Manche schauten fern, meine Schwiegermutter schlief, ich surfte entspannt im Internet, Kinder spielten oder schliefen. Es war einfach Ruhe eingekehrt. Die Ruhe wurde nur durchbrochen von einem Telefongeklingel. Meine Schwägerin telefonierte kurz. Nichts besonderes. Nachdem sie aufgelegt hatte, schnappte sie sich ihre Sachen und die Jellaba (traditionelles marokkanisches Gewand) und informierte uns darüber, dass ihre Schwiegermutter samt Schwägerin und Enkelkindern im Anmarsch sind. Sie würde jetzt zu meinen Schwiegereltern gehen und sie dort empfangen. Ich fand das viel zu kompliziert und sagte ihr, sie sollten herkommen. Sie schaute mich zweifelnd an und fragte sich wahrscheinlich, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. Sie merkte an, dass drei Kinder dabei wären, die uns dasHaus zerlegen und alle Spielsachen mit nach Hause nehmen würden. Da ich der Typ bin, die sich freut, wenn Spielsachen bespielt werden und nicht im Schrank herum stehen, ließ ich das Argument nicht gelten. Auch wenn ich inzwischen schon weiß, dass manche nicht mit Büchern umgehen können und mit Bastelpapier verwechseln, aus dem man Flugzeuge bauen kann oder andere Kinder wiederum es total lustig finden, sich mit Bauklötzen zu bewerfen. Kurzum, da viele Kinder hier kein Spielzeug besitzen, holen sie bei Vorhandensein alle Experimente nach, die andere Kinder in ihrem gesamten Kleinkindalter durchlaufen. Aber ich blieb trotz allem unbeeindruckt. Ich fand, es sei wieder Zeit, Besuch zu bekommen. Was darauf folgte, entspricht nicht meinem Naturell, aber ich habe mich den Gegebenheiten angepasst. Zu den Gründen dafür ein anderes Mal mehr.

breakfast_Fotor

 

Es passierte nun folgendes: Da die Damen in Wohnzimmer empfangen wurden, wurde erst gesaugt, der Laptop sowie umherliegender Kleinkram in Sicherheit gebracht, die Kissen ausgeschüttelt, die alte Tischdecke gegen eine funkelnagelneue eingetauscht, die nur für Besucher gedacht ist und sonst die ganze Zeit im Schrank liegt. Alles, was in den anderen Zimmern herum lag, wurde ins Schlafzimmer geschmissen und die Tür fest verschlossen. Das Kinderzimmer wurde mit Ausnahme von einzelnen sehr robusten Spielzeugen von Kleinteilen befreit. Auch hier flog alles in eine Tüte, die wiederum so weit oben wie möglich im Schrank verschwand. Meine Schwägerin fegte alle Zimmer aus, wischte den Flur über, wischte das Bad und fing letztendlich an, die Türen zu säubern. Letzteres ging mir dann doch zu weit und ich entwendete ihr den Lappen. Des Weiteren wurden die Schuhe auf der Treppe geordnet und der Müll hinaus gebracht. Es wurde schnell Baguette gekauft, Croissants waren leider noch nicht zu haben. Das Nonplusultra ist natürlich, wenn der Gastgeber mit etwas Selbstgebackenem aufwarten kann, aber das ist bei mir relativ selten der Fall. Jedenfalls nicht bei spontanen Besuchen. Außerdem wurde die Wäsche aufgehängt, die in der Waschmaschine wartete. Der Grund entzieht sich meinem Wissen. Vielleicht sieht das nicht schön aus??? Ich werde es in Erfahrung bringen.

 

Ich polierte indes Gläser. Einmal die Gläser für den Tee und dann für den Kaffee. Alle Schüsselchen wurden gesäubert (hier werden Brote nicht geschmiert, sondern Brotstückchen in Olivenöl oder Honig oder anderes getunkt), Kekse nett angerichtet, Tee und Kaffee und Milch gekocht, Brot aufgeschnitten, Mandeln und Datteln auf Teller drapiert. Und dann klingelte es…

Die Damen sowie Kleinkindanhang stürmten das Haus. Nach etwas Aufwärm-Kommunikation wurde aufgetischt. Auch hier gilt es zu beachten: Alles wird auf Tabletts hereingetragen und nicht einzeln. Die Schälchen zum Tunken werden so nah wie möglich an die Gäste platziert, damit sie auch ohne große Mühe zulangen können. Das Tablett mit den Teegläsern wurde vor die älteste Dame gelotst, die dann die Ehre hatte, einzugießen.  Dann werden die Gäste mindestens dreimal aufgefordert, doch bitte zu zu langen und zu essen. Vor jedem Gast wird ein Riesenberg von Brot gelegt, damit dieser sich nicht schämen braucht. Und dann fangen alle im Schneckentempo an, zu essen. Auch hinter das Geheimnis dieser Eigenart kam ich erst sehr spät. Die Menschen vermeiden schnelles Essen, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie wären gierig. So mümmeln sie dann vornehm und sehr, sehr langsam vor sich hin. Und das sage ich, die wirklich ewig am Essenstisch braucht. Ganz zum Schluss wollte ich noch einmal Tee nachgießen, was verweigert wurde. Ich dumme Nudeln wollte die Teekanne dann tatsächlich auch wieder wegstellen, weil das NEIN schon sehr vehement kam. Aber meine Schwiegermutter griff dann ein und räumte das Missverständnis beiseite, indem sie mich aufforderte, ruhig nachzugießen. Diesmal durfte ich. Hm, wieder darauf hereingefallen. Für mich ist ein NEIN tatsächlich nach einem Jahr immer noch ein NEIN und wird vielleicht auch niemals ein Ja. Ich kann  mich einfach nicht daran gewöhnen.

Das waren nur einige der Dinge, die theoretisch zu beachten sind.

Bitte denkt nicht, dass ich alles, was sich beim Empfang von Gästen „gehört“ auch befolge. Und selbst wenn ich mich regelkonform verhalten wollen würde, das auch wirklich könnte. Es gibt einfach zu viele Fettnäpfchen, in die man treten kann. So ein Besuchstag ist voll davon. Aber erstens machen das meistens der Rest der Familie. Und zweitens sind die Menschen meistens nachsichtig und geben mir immer großzügig meinen Ausländerbonus. „Sie weiß es ja nicht besser.“ Na dann….auf den nächsten Besuchstag.

6 Antworten auf „Wenn Besuch kommt: Gastfreundschaft

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  1. Ich finde es interessant zu lesen wie sich Alltagssituationen bei euch abspielen.
    Sehr angenehm geschrieben. Einfach zu folgen und verursacht schmunzeln.
    Ich kann mich dich gut vorstellen und besser kennenlernen als ich dich bis jetzt kenne.

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    1. Liebe Vivien,

      danke Dir. Es ist manchmal schwierig, gerade aus dem Alltag zu schreiben. Denn das Alltägliche kommt mir immer so unbedeutend und langweilig vor. Allerdings kann er für andere wiederum spannend sein, da es so ganz anders hier läuft als in Deutschland. Es wäre echt super, wenn ich es wirklich schaffe, einen Einblick zu geben.

      Liebe Grüße

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